Fu Kar We: F R a U is for me (and Tatouage) G
Frau G.
Sonntag, 16. Juli 2006
Herzeleid
Meine Mutter ist seit heute Morgen im Krankenhaus. Ich habe schon einige Tage vorher auf sie eingeredet wie auf ein krankes Pferd, dass sie doch bitte, bitte, bitte zum Arzt gehen soll.

Nein, ihre Ärztin sei im Urlaub. Nein, zur Vertretung will sie nicht. Nein, das wird schon wieder.

Und mein vollkommen bescheuerter Bruder, der sich alles unter den Nagel gerissen hat, wofür mein Vater Jahrzehnte lang geschuftet hat und dafür notariell festlegte sich um meine Mutter zu kümmern, war weder im Haus, noch in der Lage sie zum Arzt zu bugsieren.

Ich selbst wohne 370 km entfernt, kann mir dementsprechend nicht so den Überblick verschaffen wie ich es gerne tun würde.

Doch heute Vormittag war dann Ende mit meiner Geduld. Ich rief die Feuerwehr im Wohnort meiner Mutter an und liess ihr einen Rettungswagen schicken.

Nun ist sie böse auf mich, weil sie im Krankenhaus bleiben muss und nicht mal aufstehen darf, um auf´s Klo zu gehen. Mein Bruder ist auch böse, weil er wegen mir ein schlechtes Gewissen haben muss, weil er mal wieder nichts getan hat, was absolut nötig gewesen wäre.

Meine Schwägerin ist böse, weil sie sich mit mir ablabern musste, denn mein Bruder spricht nicht mit mir, und weil sie sich um meine Mutter kümmern muss, die sie nicht leiden kann.

Meine Schwester ist böse, weil ich ihr mit dem Anruf meine Mutter sei im Krankenhaus den Urlaub versaut habe.

Und der behandelnde Arzt ist böse, weil ich die richtigen Fragen gestellt habe und er mir zähneknirschend erzählen musste, dass meine Mutter wohl schon in der letzten Woche einen Infarkt hatte.

Typisch Arzt hat er bisher weder meiner Mutter, noch meinem Bruder etwas davon gesagt. Auch mir wollte er erzählen dass es ihr gut gehe (So ein Idiot!), musste dann aber feststellen, dass ich über Herzinfarkte in etwa genau so viel weiss wie er.

Interessanterweise fand es niemand aus meiner Familie erwähnenswert, dass ich die Einzige war, der das Leben meiner Mutter so wichtig war, dass ich von Pontius bis Pilatus telefoniert habe, damit ihr geholfen wird.

Manchmal bin ich einfach nur müde.

Meine Mutter weigerte sich sogar ihr Telefon freischalten zu lassen. Ich habe über das Stations-Handy dennoch mit ihr gesprochen, Oberschwester sei Dank.

Vorsichtig habe ich von meinem Gespräch mit dem Arzt erzählt, weil ich vermeiden will, dass man sie Montag gnadenlos vor vollendete Tatsachen stellt.

Wie damals bei der Krebs Diagnose, wo ein ihr vollkommen unbekannter Arzt beim Mittagessen auftauchte und nach dem ganzen tagelangen "Sie haben ganz sicher nix"-Gesülze plötzlich davon anfing man müsse den Krebs dann im Laufe der nächsten Woche gleich raus schneiden.

Sie hat jedenfalls geweint und ich kamm mir vor wie der letzte Mensch.

Ich hatte noch nie so ungern recht.

Meine Schwester hat die ganze Zeit nur immer wiederholt, man habe ihr nichts angemerkt, meine Mutter müsse das doch gemerkt haben, sie habe Freitag noch mit ihr gesprochen.

Ich habe versucht ihr zu erklären, was ein stummer Infarkt ist und dass die Symptome bei weiblichen Herzinfarktpatienten nunmal andere sind als bei Männern.
Unspezifischer, aber im Zusammenhang mit der medizinischen Vorgeschichte meiner Mutter deutlich wahrnehmbar. Sogar für mich im Zuge einer Ferndiagnose.

Ich nehme an meine Schwester hält mich einfach nur für eine Klugscheisserin. Da kann sie sich wahrscheinlich mit dem behandelnden Arzt zusammen tun, sowie mit dem Rest der Familie. Wobei mein Bruder mit ihr ja genau so wenig spricht wie mit mir.

Trotzdem, ich will nicht undankbar sein. Der Zustand meiner Mutter ist nun scheinbar stabil, sie steht unter Beobachtung und am Montag wird man sie diversen Tests unterziehen.

Was zu 100% besser ist, als wenn sie zuhause geblieben wäre und in aller Stille im Laufe der nächsten 48 Stunden verstorben.

Nächsten Freitag fahren wir spätestens zu ihr.

Ich hoffe einfach nur, dass ihre Stunde noch nicht gekommen ist. Ich war 23 Jahre alt, als mein Vater von jetzt auf nun starb. Und ich würde mir wünschen, dass ich wenigstens meine Mutter noch ein paar Jahre behalten darf.

Letzte Woche hat sie mir erzählt sie hätte von meinem Vater geträumt, der stumm neben ihrem Bett stand und sie ahnsah.

Es war das gleiche Krankenhaus.

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Donnerstag, 20. Oktober 2005
Unter der Hecke
Rem Tem Trecker

Der Rem Tem Trecker ist ein komischer Katz,
Wenn er eine Ratz hat, dann will er `nen Spatz.
Wenn er Fasan hat, möcht’ er `ne Wachtel.
Hat er ein Haus; er will in die Schachtel,
Sitzt er in der Schachtel, will er ein Haus.
Wenn er den Spatz hat, dann möchte’ er die Maus.
Ja, der Rem Tem Trecker ist ein komischer Katz.
Er ist, wie es ist, ich bin lieber still,
Das sind so Sachen.
Dann kann man nichts machen.
Er will nun einmal das, was er will.

Rem Tem Trecker macht einen schrecklich nervös:
Wenn er draußen sein soll, dann wird er bös.
Ist er drinnen bei mir, ist’s ihm gar nichts wert –
Jede Seite der Tür scheint ihm verkehrt.
In meinem Schreibtisch ist er zu Haus,
Doch tobt er ganz furchtbar, kann er nicht raus.
Ja, der Rem Tem Trecker ist ein komischer Katz.
Er macht nun einmal genau, was er will.
Da kann man nichts machen.
Das sind so Sachen.
Ich sag lieber nichts, ich bin besser still.

Rem Tem Trecker ist ein komischer Katz.
Nur Widerstand, meint er, sei stets am Platz.
Wenn du Hasen ihm bietest, verlangt er nach Fisch,
Doch der bleibt dann stehen unter dem Tisch.
Wenn du Sahne ihm gibst, ist’s ein Sträuben und Strauben,
Nur was er selbst findet, an das kann er glauben.
Doch stellst du sie weg, aufs Bord seithin,
Steckt sein Köpfchen bis über die Ohren drin.
Rem Tem ist aufs Durcheinander erpicht,
Er liebt Kosen und zärtliches Kraulen nicht –
Doch nähst oder schreibst du: mit einem Satz
Macht er deinen Schoß zu seinem Platz.
Ja, der Rem Tem Trecker liegt mir im Magen.
Was soll ich noch mehr erzählen und sagen.
Da kann man nichts machen.
Das sind so Sachen.
Da schweig ich lieber. Will nicht mehr klagen.

(Thomas Stearns Eliot)

Mein Rem Tem Trecker hiess Romeo und wurde 17 Jahre alt.
Als ich ihn aus dem Tierheim holte war er gerade mal ein paar Wochen und steckte in einer engen Kiste mit zig anderen, kleinen Geschwistern. Er hatte unglaubliche Massen von Flöhen und sass brav auf einem weissen Handtuch während ich das Puder gegen die Plagegeister auftrug.

Er hatte auch einen bösen Infekt und ich fuhr lange Zeit ständig zum Tierarzt mit ihm, bis ich es nicht mehr aushielt und ihm Kohlekompretten gab. Von da an war er die gesündeste, wilde, kleine Katze, die unsere Wiesen und Bäume je zu Gesicht bekommen hatten. Er liebte Kartoffelsalat und meinen Plüsch-Alf, den er ständig irgendwo versteckte.

Er putzte die Pfote, wenn man ihn darauf küsste, weil er darauf bestand selbst zu bestimmen wann Schmusezeit war. Sein Miauen klang immer ein bißchen heiser und er kratzte und biss niemals, denn das war eindeutig unter seiner Würde.

Als ich mein Elternhaus verliess, durfte er dort bleiben, denn weil ich ihn so liebte, wusste ich, es würde ihm das Herz brechen von dort fort zu müssen. Er war ein wilder Freigeist, der nachts über die Pferdeweiden pirschte und fremden Katzen zeigte wo der Frosch die Locken hat. Er war der King.

Ich besuchte ihn oft und war und blieb die einzige, die, wenn er krank war, alles mit ihm machen durfte.

Als ich ihn das letzte Mal sah, war er gezeichnet von Alter und Krankheit.
Ein Schlaganfall hatte seine Pupille im linken Auge unnatürlich vergrössert. Ich versorgte eine böse Wunde an seinem Kopf, von der niemand wusste woher sie kam und kochte ihm Lachs mit Bandnudeln.

Er schlief und trank viel. Wir wussten beide es würde nun bald zuende gehen und ich verabschiedete mich und er verabschiedete sich.

Heute Nachmittag brachte mein Bruder ihn zum Tierarzt und nun liegt er dort unter der Hecke, an der Stelle, die er so sehr liebte, weil da ein besonders schöner Sonnenfleck auf seinen getigerten Pelz schien. Im nächsten Jahr wollen wir dort einen Rhododendron pflanzen.

Ja, er war alt und ja, er war, wie ich an anderer Stelle las, nur ein Tier. Aber er war mir lieber und wertvoller als die meisten Menschen.

Ich werde ihn nie vergessen und ich weiss er mich ebenfalls nicht.

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Letzte Aktualisierung: 2013.07.29, 16:19