Fu Kar We: F R a U is for me (and Tatouage) G
Frau G.
Samstag, 21. April 2007
Tischgespräche 2.0
Sonne auf der Nase und auf dem noch blassen Dekoltee.

Das soll sich bald ändern, dann, wenn ich nach rund drei Stunden diesen Platz verlassen werde und die heisse Berliner Frühlingssonne meine zarte, blasse Haut mit Sommersprossen und einer leichten Rötung überzogen hat, die sich mit etwas Glück gegen Abend in eine sanfte Bräune verwandeln wird.

Nun aber sitze ich hier. Nicht allein, sondern vergnügt zu zweit mit dem wohl hungrigsten Frühstücksmonster der Welt aka Herrn G. mir gegenüber.

Ein Platz an der Sonne. In einer kleinen Strasse. Berlin Prenzlauer Berg.

Es ist voll, sogar überraschend voll für einen Freitag Vormittag. Bis das Frühstück endlich am Tisch steht wird es Mittag sein. Man hat´s hier nicht so eilig. Wir lesen und wählen und trinken schonmal Milchkaffee und Sojamilchkaffee und frisch gepressten Saft aus grossen, bauchigen Gläsern.

Neben uns Jungvolk.
Manchmal vergesse ich, bereits die Mitte 30 erreicht, ja sogar knapp überschritten zu haben. Sitze ich neben Jungvolk fällt es mir aber spontan wieder ein.

Wie war das als ich Mitte 20 war? Lustiger, denke ich wie aus der Pistole geschossen.

Denn im Gespräch nebenan geht es hauptsächlich um eines: Karriere, Karriere, Karriere.

Ein in Eheschliessung begriffenes Paar und eine Solo-Freundin.

Das Paar arbeitet im gleichen Konzern, wobei er einen natürlich den wichtigeren Job zu haben scheint als sie, so wie es sich für eine gute zukünftige Ehefrau gehört. Er hat Grosses vor sich, wie sein Abteilungsleiter nicht müde wird zu versichern, sagt er laut, so laut, dass das ganze Café nun mit Sicherheit darüber Bescheid weiss. Schon jetzt trägt er mehr als die doppelte Verantwortung und Belastung. Aber er weiss ja wofür.

Vielsagendes Schweigen. Mein Blick schwingt nach links Richtung Bedienung und ich erhasche versehentlich einen versonnenen Blick der demnächst-Ehefrau auf ihren erfolgreichen Zukünftigen. Mein Magen hebt sich.

Die Solo-Freundin hat leider keinen Zukünftigen, den sie anschmachten kann. Deshalb macht sie schnell auf lustige Weise die Hochzeitseinladungen ein bißchen mies. Ausserdem hat sie einen klasse Urlaub in Australien vorzuweisen. Etwas wofür das Paar weder Zeit noch Geld hat. Man spart auf´s Eigenheim.

Wobei die Karriereleiter mit Kollegen immerhin zum Ski laufen war, im Winter. Frauchen blieb daheim. Man muss ja auch mal was alleine machen mit den Jungs. Frauchen hat ja auch ihren Strickclub.
Hahaha.

Herr G. wird unruhig. Er kann kaum entscheiden was ihn mehr nervt, das ohrenbetäubend laute Geschätz der Karriereleiter, oder die Tatsache, dass alle ausser uns bereits frühstücken.

Am Tisch auf der anderen Seite lässt sich ein anderes Paar nieder. Noch jünger, aber stiller und verliebter.
Die beiden brauchen keine Karte, denn sie sind Stammgäste. Er bestellt Oleander, sie Anemone. Man ist hier frühstücksmässig sehr literarisch-blumig unterwegs.

Schräg rechts gegenüber ein junges Paar mit Baby im Kinderstuhl. Kleine Pfötchen grabbeln nach Melone, kleine Stimmchen verlangen lautstark nach "Saaaaaaaaaaaaf-T!" Daneben die Schwiegererltern, denen soviel Frühstückskultur suspekt ist. "Meine Jüte, wat ne Vaschwendung. Det schafft doch keen Mensch!" ruft Schwiegermutti aus, als sie der Frühstücksetagere ersichtig wird, die die freundliche Bedienung gerade schnaufend an den Tisch schleppt.

"Die kommen bestimmt aus dem Osten", meint Herr G. übellaunig und kauft dem Vertreter der Obdachlosenzeitung ein Exemplar ab.
"Wir sind hier im Osten", antworte ich.
Herr G. lacht.
Er gibt dem Verkäufer 5 Euro. 1,40 für die Zeitung, den Rest dafür, dass ihn die Schnalle am Tisch an der Ecke so angepöbelt hat er solle sie in Ruhe lassen mit seiner Bettelei.

"Zum kotzen solche Leute", kommentiert der hungrige Herr G. und wirft einen missmutigen Blick auf die unfreundliche, dauertelefonierende Spätgebährende mit blondem Pferdeschwanz, Reitstiefeln und Säugling im Pradastrampler (!), deren asiatisches Kindermädchen sich scheinbar nicht setzen darf, sondern steht, um dem Baby Schatten zu spenden und es hin und wieder mit LSF 35 einzucremen.

Schliesslich kommt endlich, endlich auch unsere Etagere, eine neue Ladung Getränke wird geordert und ich blende, erfahren in Meditation die Geräusche rundherum einfach aus und geniesse die feinen Leckerbissen. Froh darüber nicht mit einer Karriereleiter verheiratet zu sein, froh darüber nicht als Kindermädchen einer hochnäsigen Dumpfbacke arbeiten zu müssen, froh, dass mein Mann kein Herz aus Stein hat und jeden Menschen erstmal mit dem gleichen Respekt behandelt, ganz egal ob er Obdachlosenzeitungen am Tisch verkauft oder Kronjuwelen bei Tiffanys.

Während links die Karriereleiter den beiden Mädels alles wegfrisst was gut und teuer ist und gleich mal Brötchen nachfordert ("Die kosten doch nichts extra, oder?") und rechts Oleander irgendwie magersüchtig in seinem Frühstück herumpickt, sich Baby 1 jauchzend Weintrauben ins Bäuchlein schiebt und Baby 2 zum x-ten mal professionell eingecremt wird, teilen wir uns friedlich das duftige Rührei und kommentieren jede der Speisen mit Wohlbehagen.

Was für ein gelungener Tag.

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Hach wie schön!
Er ist noch da, der Sarkasmus. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr mich das freut!

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Letzte Aktualisierung: 2013.07.29, 16:19